Service Letzte Änderung: 16.06.2025 10:19 Uhr Lesezeit: 3 Minuten

Großes Interesse an Neurodivergenz

Der KOSA-Online-Talk „Neurodivergenzen – hochsensibel, autistisch, hochbegabt?“ brachte Engagierte aus der Selbsthilfe und Experten aus Medizin und Wissenschaft zusammen.

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© KV Nordrhein
Martin Zange (v.l.), Stephanie Theiß, Silvia Prochnau und Dr. med. Frank Bergmann beim KOSA-Talk zum Thema Neurodivergenzen

Das Thema scheint sehr aktuell zu sein – 460 Ärzte, Psychotherapeuten, Betroffene und Interessierte nahmen an der Fortbildung teil.

Immer mehr Menschen, die in ihrer neurologischen Entwicklung von der Norm abweichen, etwa in Bezug auf ihr Verhalten, ihre Wahrnehmung, Bedürfnisse oder Emotionen, betrachten sich als neurodivergent. Was das bedeutet und welche Herausforderungen und Chancen mit Neurodiversität verbunden sind, erläuterte eingangs Psychiater und Neurologe Dr. med. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein. „Neurodiversität beschreibt die Bandbereite natürlicher Vielfalt in der menschlichen Gehirnentwicklung. Das Neurodivergenz-Konzept fokussiert nicht nur Defizite von Verhaltensauffälligkeiten, es betont auch Stärken.“ Das könne Diagnosen wie Autismus oder ADHS entstigmatisieren.

Sind Menschen mit Autismus und Co. also gar nicht krank, sondern nur anders normal? Was ist überhaupt normal? Diese Fragen könnten immer nur in zeitlichem und gesellschaftlichem Kontext beantwortet werden, so Bergmann. Normalität orientiere sich am vertrauten und gewöhnlichen Verhalten der Mehrheit.

Therapie weiter wichtig

Aus seiner Psychotherapeutischen Praxis in Krefeld berichtete Martin Zange: „Zum Beispiel kommen Hochbegabte zu mir, weil sie verzweifelt sind. Sie gelten als Streber und werden gemobbt“, erklärt der Psychologe. Ziel sei es, Zusammenhänge zu erkennen und Verhaltensänderungen zu erlernen, die den Leidensdruck mindern.

Unterstützung durch Selbsthilfegruppen

Auch Selbsthilfegruppen sind Anlaufstellen. Silvia Prochnau hat 2016 in Oberhausen als Mutter eines autistischen Sohnes den Verein „Autismus – einfach anders“ gegründet. Sie stellte ihren Verein, der rasant gewachsen ist, im KOSA-Talk vor. „Wir erhalten immer mehr Zulauf und haben inzwischen Angebote eigens für Erwachsene, für Angehörige, für Männer, für Kinder, für Frauen.“ Darunter sind Vor-Ort-Gruppen genauso wie Online-Angebote … Anderen Menschen Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen, die sie sich selbst früher gewünscht hätte, erfüllt sie mit Befriedigung.

Erziehungswissenschaftliche Sicht

Professor Christian Lindmeier von der Universität Halle-Wittenberg erklärte Neurodiversität aus pädagogischer Sicht. Der Begriff existiert seit den 1990er Jahren und fand zunächst in den Sozial- und Erziehungswissenschaften Beachtung. „Es ist gut, dass das Konzept auch Einzug in die Medizin erhalten hat“, betonte er.

Neurodivergenz in der Medizin

Im noch gültigen ICD-10-Katalog ist bei Autismus von einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung die Rede, in der deutschen Entwurfsfassung ICD 11 von einer Autismus-Spektrum-Störung mit unterschiedlichen Ausprägungen. Autismus wird hier im Sinne des Neurodivergenz-Konzeptes weniger als Krankheit verstanden. Aber das ist auch mit Vorsicht zu genießen: „Wenn bestimmte Diagnosen nur als anders normal gesehen werden, besteht die Gefahr, dass Therapiebedürftige keine ausreichende Versorgung erhalten. Krankenkassen könnten sich zudem weigern, Behandlungen zu zahlen“, erläuterte KV-Vorstand Bergmann. Sein Fazit: Es sollte eine gründliche ärztliche Diagnostik erfolgen, verbunden mit individueller Therapie und psychosozialen Unterstützungsangeboten. 

Kontakt

Stephanie Theiß

KOSA Abteilungsleiterin

Telefon +49 211 5970 8091
E-Mail kosa@kvno.de

Anke Petz

KOSA

Telefon +49 211 5970 8090
E-Mail kosa@kvno.de

Bianca Wolter

KOSA

Telefon +49 211 5970 8092
E-Mail kosa@kvno.de