Service Letzte Änderung: 01.04.2022 14:32 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

Qualitätszirkel: "Der Austausch dient dem Wohl der Patienten"

Manchmal geht es um neue Behandlungsmethoden, manchmal um kniffelige Diagnosen. In Qualitätszirkeln tauschen sich Ärztinnen und Ärzte sowie Psychologinnen und Psychologen über verschiedene Themen aus.

© privat
Dr. Renate Murena-Schmidt

Dr. Renate Murena-Schmidt leitet einen Qualitätszirkel für Gefäßmedizin, also Fachärzte für Gefäßerkrankungen, aus dem Großraum Köln. Im Interview mit der KV Nordrhein erzählt sie von den Treffen – und warum vor allem die Patienten davon profitieren.

Was kann ich mir unter einem Qualitätszirkel vorstellen?
Murena-Schmidt: Niedergelassene Fachärzte arbeiten häufig  allein in ihrer Praxis und tauschen sich in ihrem Alltag wenig aus. Der Austausch ist aber wichtig, um medizinisch auf dem neuesten Stand zu bleiben und von den Erfahrungen anderer zu lernen. Dafür sind die Qualitätszirkel gedacht: Wir treffen uns live oder online und bilden uns sozusagen gegenseitig fort. So wird – wie der Name schon sagt – die Qualität der Arbeit in den Praxen gesichert.

Wie läuft ein Treffen ab?
Murena-Schmidt: Das ist immer unterschiedlich. Manchmal bringen wir Fälle von Patienten mit, bei denen wir einen Rat brauchen oder den anderen von einer Besonderheit berichten wollen. Manchmal haben wir Experten zu Gast, die uns von neuen Behandlungsmethoden oder Studien berichten – oder wir verbreiten weiter, was wir selbst in Fortbildungen gelernt haben. Und manchmal wird auch ausgiebig diskutiert, zum Beispiel über neue Entwicklungen.

Um was geht es dann?
Murena-Schmidt: Vor vielen Jahren gab es zum Beispiel ein Gutachten, dass man viele Venenerkrankungen, unter anderem Thrombosen, gut durch Ultraschall diagnostizieren kann. Viele Kolleginnen und Kollegen waren damals der Meinung, es sei unmöglich und fahrlässig, auf diese Weise eine Diagnose zu stellen. Sie pochten auf die Phlebografie, ein bis dahin bewährtes, bildgebendes Verfahren mit Röntgenstrahlen. Doch je mehr Erfahrungen gesammelt wurden, desto anerkannter wurde die Ultraschalluntersuchung. Heute ist diese selbstverständlich, eine Phlebografie ist nur noch in Einzelfällen nötig.

Was steht aktuell im Fokus?
Murena-Schmidt: Eine relativ neue Entwicklung ist ein Venenkleber, mit dem Venen verschlossen und so Krampfadern beseitigt werden können. Die Anwendung wird – auch in unserem Zirkel – kontrovers diskutiert. Die einen finden die Methode gut und einfach anzuwenden, die anderen sehen die Gefahren – vor allem ein erhöhtes Risiko für allergische Reaktionen und Granulome. Bisher wird der Kleber nur von privaten Krankenkassen übernommen und daher noch nicht so oft angewendet. Ich finde es sehr wichtig, dass alle Kolleginnen und Kollegen auf dem Laufenden bleiben und sich gegenseitig informieren – auch über Nebenwirkungen, gerade weil wir in der Phlebologie über so viele gut untersuchte und durch Studien hinterlegte Therapien verfügen – wie die Varizenoperationen, die endovenösen Hitzeablationsverfahren und die ultraschallgesteuerte Schaumsklerotherapie.
(Anm. der Redaktion: Erläuterung der Fachbegriffe siehe unten)

Müssen Ärztinnen und Ärzte an den Qualitätszirkeln teilnehmen?
Murena-Schmidt: Nein, die Teilnahme ist für Fachärzte freiwillig. Ich lade zum Beispiel immer etwa 25 Kolleginnen und Kollegen aus dem Großraum Köln bis hin zur Eifel ein. Wer kommt, kommt – das sind mal mehr, mal weniger Teilnehmer. Ich kann es den Fachleuten nur ans Herz legen! Man profitiert selbst davon, baut sich ein tolles Netzwerk auf – und letztendlich dient es dem Wohl der Patienten.

Inwiefern?
Murena-Schmidt: Wer auf dem Laufenden bleibt, kann Patienten nicht nur die optimalen Behandlungsmethoden anbieten, sondern auch bestens über Chancen und Risiken aufklären. Und: Auch Experten können nicht immer alles wissen. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Patienten mit einer kniffeligen Diagnose, finden keine Ursache oder sind sich nicht sicher, welche Behandlung passen würde. Dann ist es doch toll, wenn man bei einem solchen Treffen noch mehrere andere Fachleute zu Rate ziehen kann! Und der Patient kann sicher sein, die bestmögliche Behandlung zu erhalten. Die Patienten selbst bleiben dabei selbstverständlich anonym.

Welche Rolle spielt die KV Nordrhein für die Qualitätszirkel?
Murena-Schmidt:  Die Bildung und Unterstützung von ärztlichen und psychotherapeutischen Qualitätszirkeln gehört zu den Qualitätssicherungsaufgaben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Sie bietet einen Überblick über die bestehenden Zirkel, hilft beim Neustart und bietet Fortbildungen für die Moderatoren an.  Außerdem gibt es eine Entschädigung für die Moderatoren, denn die Organisation und Leitung der Zirkel kostet Zeit. Das kann man mit einer Aufwandspauschale für ein Ehrenamt vergleichen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Erläuterung der Fachbegriffe

Granulome: chronisch-entzündliche Hautkrankheit, bei der sich Papeln (Hautknötchen) bilden.
Varzinen: Krampfadern (umgangssprachlich)

Hitzeablationsverfahren: Bei einer hohen Temperatur werden die Venen, z. B. mittels Radiofrequenzen, geschrumpft.
ultraschallgesteuerte Schaumsklerotherapie: Ein mit steriler Luft aufgeschäumtes Verödungsmittel wird bei diesem Verfahren mit einer sehr kleinen Nadel in die Krampfadern eingebracht. Der Schaum reizt die Venenwand, so dass sich die Krampfader zurückbildet. Der Schaum bleibt nur kurze Zeit in der Krampfader und wird dann vom Körper selbst abgebaut.

Thema des Monats: Venen- und Gefäßerkrankungen

Am Samstag, 23. April 2022, ist der 20. Deutsche Venentag. Ins Leben gerufen wurde er von der Deutschen Venen Liga zur Aufklärung über Venenleiden.
Die KV Nordrhein widmet sich deswegen im April 2022 dem Schwerpunktthema Venen- und Gefäßerkrankungen.
Weitere Infos für Patienten unter:
https://venenliga.de
https://www.dgvenen.de
www.deutsche-gefaessliga.de
https://www.phlebology.de/patienten