Service Letzte Änderung: 19.06.2023 15:05 Uhr Lesezeit: 2 Minuten

Lebensmittel-Allergien: „Wir müssen auf Details achten.“

Manche Menschen leiden unter Durchfällen, andere unter Verstopfung. Einige bekommen Hautausschläge, manche Atemnot. Die Symptome von Lebensmittelunverträglichkeiten sind verschieden. Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Unverträglichkeit, einer Allergie und einer Intoleranz? Und wie erkenne ich, ob überhaupt ein bestimmtes Lebensmittel der Auslöser für die Symptome ist?

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© Deutscher Allergie- und Asthmabund

Darüber spricht Sonja Lämmel im Interview. Sie ist studierte Oecotrophologin, allergologische und gastroenterologische Ernährungstherpeutin und berät Betroffene sowohl für den Deutschen Allergie- und Asthmabund in Mönchengladbach als auch in ihrer eigenen Praxis in Schwarzenbek/Großraum Hamburg.

Frau Lämmel, wenn ich den Verdacht habe, dass meine Symptome mit der Ernährung zusammenhängen. An wen soll ich mich wenden?

Lämmel: Am besten arbeiten Ärztinnen und Ärzte eng mit zertifizierten Ernährungsfachkräften Hand in Hand. Betroffene können sich zum Beispiel erst an eine Ernährungsfachkraft wenden und an eine Praxis, wenn konkrete Untersuchungen anstehen. Achtung: Der Begriff „Ernährungsberatung“ ist nicht geschützt, daher ist es wichtig, auf Begriffe wie „Ernährungstherapeut“ und „Ernährungsfachkraft“ sowie die entsprechenden Zertifikate zu achten.

Welcher Facharzt sinnvoll ist, würde ich von den Symptomen abhängig machen. So kann man bei Hautausschlag zum Hautarzt gehen, bei Atemnot zum Lungenfacharzt, bei Magen-Darm-Beschwerden zum Gastroenterologen und mit Kindern natürlich zum Kinderarzt. Außerdem können Ärztinnen und Ärzte aus verschiedenen Fachrichtung eine Allergologie-Weiterbildung absolvieren. Bei Verdacht auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit ist es meist sinnvoll, wenn die Ärztin oder der Arzt diese Zusatzqualifikation hat. Die Wege sind immer etwas unterschiedlich – Hauptsache ist, alle ziehen an einem Strang.

Zu Ihnen kommen viele Menschen mit dem Verdacht, dass sie auf bestimmte Lebensmittel reagieren – zum Beispiel mit Blähungen oder Durchfall. Wie gehen Sie dann vor?

Lämmel: Tatsächlich haben viele Menschen Schwierigkeiten mit der Verdauung – und es scheinen immer mehr zu werden. Ich bitte die Patientinnen und Patienten, über einige Zeit ein sehr detailliertes Ernährungstagebuch zu führen. Was habe ich gegessen? Wann? Wie ging es mir danach? Wie war die Verdauung? Aus meiner Erfahrung stellt sich in mindestens 60 Prozent der Fälle heraus: Die Menschen reagieren nicht auf bestimmte Lebensmittel, sondern müssen ganz allgemein ihr Essverhalten umstellen. Verdauungsstörungen liegen häufig an zu vielen „leeren“ Kohlenhydraten, zum Beispiel aus weißem Mehl, und zu wenigen Ballaststoffen – vor allem Gemüse. Hinzu kommt, dass viele Nahrungsmittel hochverarbeitet sind und wir uns viel zu wenig Zeit zum Essen nehmen. Es muss alles schnell gehen und das Angebot dazu von hochverarbeiteten Lebensmitteln im Supermarkt steigt stetig an.

Und woran erkennen Sie, dass die Beschwerden doch an ganz bestimmten Lebensmitteln liegen?

Lämmel: Mir ist eine ausführliche Anamnese wichtig. Wenn es sich um eine Unverträglichkeit handelt, sind die Ergebnisse reproduzierbar. Das heißt: Nach dem Verzehr von Lebensmittel X in Menge Y tritt Beschwerde Z auf. Immer. Bei zum Beispiel einer Laktoseintoleranz kann es nicht sein, dass jemand ein Glas Milch mal gut verträgt und mal überhaupt nicht.

Allerdings müssen wir auch auf Details achten – und da sind unser Fachwissen und unsere Erfahrung besonders gefragt: Warum tritt zum Beispiel der Hautausschlag an manchen Tagen nach dem Butterbrot auf, an anderen nicht? Das kann mit weiteren „Triggern“ zusammenhängen, zum Beispiel der sportlichen Aktivität. Ist eine Routine von mir, dienstags ein Brötchen zu essen und eine Stunde später zum Fußballtraining zu gehen, kann sein, dass jeden Dienstag Probleme auftreten, nach dem Brötchen am Mittwoch aber nicht.

Das klingt nach Detektivarbeit. Kann man nicht einfach Tests machen?

Lämmel: Das stellen sich mache so einfach vor: Ich gebe einmal Blut, Speichel oder Stuhl ab, puste in ein Röhrchen und dann kann man schnell sehen, auf was ich reagiere. Aber so funktioniert es leider nicht. Man muss erst einen Verdacht haben und kann dann ganz gezielt Tests vornehmen. Unter Fachleuten gibt es einen Spruch: „Wer viel misst, misst auch viel Mist.“ Da ist etwas Wahres dran. Lieber erst der Sache auf den Grund gehen und dann konkrete Werte messen. Deswegen ist die Anamnese so wichtig.

Es sind so viele Begriffe im Umlauf: Allergie, Intoleranz, Unverträglichkeit – was ist der Unterschied?

Lämmel: Oft werden die Begriffe von Laien synonym verwendet, was nicht stimmt. Ganz klar abgrenzen lassen sich die Begriffe allerdings auch nicht immer.

Für den groben Überblick: Unverträglichkeit ist der Oberbegriff. Dieser umfasst also sowohl die Allergie als auch die Intoleranz. Bei einer Allergie reagiert das Immunsystem auf einen bestimmten Stoff. Es hält ihn für schädlich und bekämpft ihn mit aller Macht. Das kann im allerschlimmsten Fall zu einem lebensgefährlichen anaphylaktischen Schock führen. Der kommt aber extrem selten vor. Allergien treten überhaupt selten bei Erwachsenen auf, die hat man meist bereits im Kindesalter.

Bei anderen Unverträglichkeiten, wie der Laktose-Intoleranz fehlt dem Körper ein Enzym oder der Transportmechanismus ist aufgrund anderer Erkrankungen gestört, um den entsprechenden Stoff richtig zu verarbeiten und abzubauen, was dann zu Beschwerden führt.

Immer mehr Nahrungsmittel werden an Unverträglichkeiten angepasst. Keine Laktose, kein Gluten, weniger Histamin. Was halten Sie von der Entwicklung?

Lämmel: Für die Menschen, die wirklich eine Unverträglichkeit haben, ist das sicherlich eine positive Entwicklung. Was ich kritisch sehe: Große Aufdrucke mit „Frei von XY“ suggerieren, das sei für alle gesünder. Das ist nicht der Fall. Für Menschen ohne Unverträglichkeit kann es sogar Nachteile haben und es kostet mehr.

Vielen Dank für das Gespräch.

Weitere Informationen beim Deutschen Allergie- und Asthmabund.