Service Letzte Änderung: 09.08.2023 17:29 Uhr Lesezeit: 3 Minuten

Interview: „Die Themen Ernährung und Einsamkeit liegen nicht so weit auseinander.“

Urs Schaden ist als Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Diabetologie und Ernährungsmedizin niedergelassen in Düsseldorf. Er erklärt, warum Einsamkeit oft auch die Ernährung beeinflusst und wie eine gesunde Ernährung gelingen kann.

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© privat
Urs Schaden

Herr Schaden, die Themen „Ernährung“ und „Einsamkeit“ haben auf den ersten Blick nicht sehr viel miteinander gemein. Es ergeben sich aber sehr wohl Schnittmengen. Wo?
Schaden: Die Themen „Ernährung“ und „Einsamkeit“ haben einen ganz engen Verbund und liegen gar nicht so weit auseinander, wie es zunächst scheint. Zusammengenommen bilden sie ein großes und leider viel unterschätztes Thema, denn Ernährungsroutinen sind selbstverständlich vom Gruppenverhalten abhängig, aber auch von der Umgebung eines Menschen und von vielen weiteren Faktoren. Diese kann man positiv beeinflussen. Und wenn etwas einen guten Einfluss hat auf Ernährung, dann ist es Gesellschaft, gemeinschaftlich etwas zu tun.

Haben Sie ein Beispiel dafür, warum sich Einsamkeit auf die Ernährung auswirken kann?
Schaden: Stellen Sie sich einen älteren Menschen vor, der ein leidenschaftlicher Esser ist und auch selbst gekocht hat. Dann geht ein Familienangehöriger – der Ehemann oder die Ehefrau – verloren, und derjenige versucht für sich, das alte Niveau zu halten. Aber es gelingt nicht, weil einem allein die Gesellschaft und das Gespräch beim Essen fehlen. Das führt ganz häufig dazu, dass die Ernährung nicht nur weniger wird, sondern sich auch verändert – und letztlich auch vernachlässigt wird. Dann greifen diese Menschen oft zu Fertigprodukten, die früher nie infrage gekommen wären – und dass allein dadurch, dass der Partner oder die Partnerin auf einmal fehlt. Ich möchte niemanden diskriminieren, aber tatsächlich erlebe ich oft bei älteren Männern, deren Frauen hilfs,-pflegebedürftig oder verstorben sind, eine große Hilflosigkeit. Da herrschte teilweise eben noch die traditionelle Rollenverteilung mit der Frau, die gekocht hat.

Sie reden von weniger Ernährung bei älteren Menschen. Ist gesamtgesellschaftlich nicht eher zu viel Nahrung das Problem?
Schaden: Es geht tatsächlich in beide Richtungen. Bei älteren alleinstehenden Menschen hat Ernährung teilweise keinen großen Stellenwert mehr und wird tatsächlich weniger und – wie eben gesagt – leider oft auch qualitativ weniger gut. Auf der anderen Seite kann Einsamkeit selbstverständlich auch Adipositas fördern. Denn Einsamkeit verursacht erwiesenermaßen Stress und unser Gehirn fordert unter Stress eine erhöhte Nahrungsaufnahme. Und eine schlechte Ernährung wirkt sich wiederum auf die Psyche aus – die Abwärtsspirale gilt es zu vermeiden.

Schlechte Ernährung kann also nicht nur physische Folgen haben, sondern auch psychische?
Schaden: Ja, dass Über- und Unterernährung körperliche Folgen haben kann, ist wohl allen Menschen bewusst. Aber Ernährung spielt auch generell eine wichtige Rolle für die Lebensqualität. In dem Ernährungstagebuch für meine Patientinnen und Patienten sollen sie nicht nur eintragen, was sie gegessen haben, sondern auch warum. Hunger? Langeweile? Frust? Freude? Nicht umsonst geht man inzwischen davon aus, dass die richtige Ernährung Depressionen zwar nicht heilen, aber durchaus einen positiven Einfluss darauf haben kann.

Viele sagen, es lohne sich nicht, für sich alleine zu kochen – und greifen dann zu Fertiggerichten. Welche Tipps haben Sie?
Schaden: Keine Sorge, man muss keine Koch-Orgien starten, um sich gesund zu ernähren. Es gibt ganz einfache, gesunde Rezepte, die sich gut in den Alltag integrieren lassen. Einige Gerichte lassen sich auch in größeren Mengen vorbereiten und portionsweise einfrieren. Übrigens: Auch Fertiggerichte können durchaus gesund sein. Es spricht nichts dagegen, auch mal Tiefkühlgemüse oder Hülsenfrüchte aus der Dose zu nutzen, wenn es schnell gehen muss. Und: Wenn Sie wirklich ratlos sind oder eine gesunde Ernährung nicht durchhalten, holen Sie sich Hilfe! In der Hausarztpraxis, bei einer Ernährungsberatung oder auch in einer Selbsthilfegruppe.

Sie haben ein Buch über das Abnehmen geschrieben. Was vermitteln Sie darin?
Schaden: Mein Anliegen war, dass die Menschen verstehen, dass eine Diät im Sinne drastischer Einschränkungen nicht sinnvoll ist, sondern dass jeder sich an seinen Neigungen orientieren sollte. Es gibt ein gewisses Fundament an Makro- und Mikronährstoffen, die notwendig sind, aber dann geht es auch ganz viel um individuelle Vorlieben. Es ist nie richtig, Dinge radikal verändern zu wollen, weil es nicht dauerhaft funktionieren wird, wenn ein Verhalten über Jahre und Jahrzehnte erlernt wurde. Änderungen funktionieren besser kleinschrittig. Deswegen war es mir wichtig, mit meinem Buch zu zeigen, dass es mit einfachen Maßnahmen geht, abzunehmen – und das auch nachhaltig.

Vielen Dank für das Gespräch.