Letzte Änderung: 08.03.2023 14:58 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

Interview mit Dr. Kleemann über Long-Covid

Dr. Andreas Kleemann, Facharzt für Innermedizin mit Schwerpunkt auf Kardiologie, ist niedergelassener Arzt in Ratingen. Er spricht über seine Erfahrungen mit der Behandlung von Menschen mit Beschwerden nach einer Covid-19-Infektion.

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© malinka | KV Nordrhein

Herr Dr. Kleemann, Sie behandeln in Ihrer Praxis viele Patientinnen und Patienten mit Long-Covid-Symptomen. Wie ist die Situation in Ihrer Praxis derzeit?

Kleemann: Die Pandemie begleitet uns bereits seit fast drei Jahren – und in dieser Zeit hat der Beratungs- und Behandlungsbedarf eher zugenommen. Während sich im ersten Jahr viele Menschen mit einer akuten Covid-Infektion an uns gewendet haben, bekommen wir jetzt mehr Anfragen von Betroffenen, die auch Wochen oder Monate nach einer Infektion noch Symptome haben.

Was bedeutet das für die Arbeit Ihres Teams?
Kleemann: Die Patientinnen und Patienten mit kardiologischen Erkrankungen sind in der Regel älter. Durch Covid 19 wenden sich vermehrt jüngere Betroffene an uns, die ohne die Erkrankung keine kardiologische Behandlung benötigt hätten. Daher haben wir im Schnitt etwa 200 Long Covid-Patienten pro Quartal zusätzlich in Behandlung, was uns vor einige logistische Herausforderungen stellt. Dennoch wollen wir alle unsere Patienten möglichst optimal behandeln.

Kommen die Patientinnen und Patienten, die Long Covid befürchten, direkt zu Ihnen?
Kleemann: Nein, das wäre aufgrund der großen Zahl gar nicht möglich. Wir arbeiten sehr eng mit den hausärztlichen Praxen in der Umgebung zusammen, die uns Betroffene zur weiterführenden kardiologischen Diagnostik überweisen. Das ist immer eine Einzelfallentscheidung. Viele Menschen brauchen nach einer akuten Covid-Infektion einige Wochen um wieder fit zu werden, aber benötigen nicht unbedingt ärztliche oder gar fachärztliche Begleitung.

Worin besteht die Herausforderung bei der Begleitung von Long-Covid-Betroffenen?
Kleemann: Es gibt mehrere Unterschiede zu unseren sonstigen Patientinnen und Patienten. Normalerweise behandeln wird evidenzbasiert, das heißt, die Behandlungen beziehungsweise deren Auswirkungen sind für viele Erkrankungen sehr gut erforscht. Bei Long-Covid ist das noch nicht so. Trotz zunehmender Erfahrungen und wissenschaftlicher Veröffentlicheungen zeichnet sich noch kein einheitliches Bild für eine Behandlungsstrategie ab. Vieles liegt noch im Dunkeln, zum Beispiel wie die Spätfolgen überhaupt entstehen. Wir behandeln die Symptome, kardiale Begleiterkrankungen, nicht die Erkrankung „Long Covid“ an sich. Viele Betroffenen haben große Zukunftssorgen und Angst vor Spätschäden, so dass ein großer Beratungsbedarf besteht.

Können Sie diesen Menschen die Sorgen nehmen?
Kleemann: Eine erfreuliche Nachricht ist: Der Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung bestätigt sich nur bei wenigen Prozent meiner Fälle. Hohe Herzfrequenzen beziehungsweise Herzrhythmusstörungen sehe ich dagegen relativ häufig, diese Symptome bilden sich aber bei den meisten nach einigen Wochen wieder zurück. Da ist Geduld gefragt. Selbstverständlich halten uns die Patientinnen und Patienten in diesem Fall über ihren Gesundheitszustand auf dem Laufenden – und wir überlegen ganz individuell, wie es weitergeht. Wenn sich die Symptome nicht verbessern oder sogar verschlechtern, sind weitere Untersuchungen nötig.

Wie wichtig ist Geduld bei Long-Covid?
Kleemann: Ich weiß, dass diese Situation gerade für jüngere, aktive Menschen sehr schwierig ist. Viele waren zuvor noch nie wirklich krank und sind es nicht gewohnt, dass ihr Körper Zeit zur Erholung benötigt. Dann bespreche ich individuell, ob noch Schonung erforderlich ist oder körperliche, sportliche Aktivitäten wieder möglich sind. Ziel ist eine auf den Einzelnen abgestimmte stufenweise Steigerung der Aktivitäten, kurzum ein „Return to Sport“. Meine Erfahrung ist: Der Genesungsprozess kann länger dauern, aber die allermeisten können wieder ihren gewohnten Alltag leben.