Service KVNO aktuell Letzte Änderung: 02.04.2024 11:51 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

KOSA-Online-Talk „Adipositas": „Es ist eine Erkrankung, kein Fehlverhalten“

Adipositas ist längst eine Zivilisationskrankheit. Egal ob jung oder alt, erschreckend viele Menschen sind zu dick. Tendenz weiter steigend.

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© New Afrika | Adobe Stock

Doch was braucht es, um diesen Negativtrend zu stoppen? Im KOSA-Talk der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) diskutierten Fachleute und Betroffene mit KOSA-Leiterin Stephanie Theiß darüber, wie das Körpergewicht nachhaltig reduziert werden und welche Rolle Selbsthilfe dabei spielen kann.

Übergewicht ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Stigma – obwohl mittlerweile wissenschaftlich erwiesen ist, dass ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel nicht alleinige Ursachen für Adipositas sind. Auch Schlafmangel, Stress, Depression, die ständige Verfügbarkeit hochkalorischer Nahrungsmittel mit geringem Nährwert und größere Portionen bei den Mahlzeiten als früher sind „Adipositas-Trigger“. „Es ist eine Erkrankung, kein Fehlverhalten! Das ist ein ganz wichtiger Fortschritt im Denken“, betont Urs Schaden, Facharzt für Innere Medizin mit den Schwerpunkten Diabetologie und Ernährungsmedizin.

Übergewichtig sind per Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 oder mehr. Laut Deutscher Adipositas Gesellschaft sind bundesweit etwa 17 Millionen Menschen betroffen. Und der Anteil übergewichtiger Kinder und Erwachsener steigt weltweit weiter an – ein großes Problem. Denn Adipositas wird mit zahlreichen chronischen Komorbiditäten assoziiert, geht mit einem erhöhten Risiko etwa für Typ-2-Diabetes und verschiedenen Krebsarten einher.

Die Schuldfrage bei Adipositas

„Nach wie vor sehen sich dicke Menschen viel Häme und Vorurteilen über angebliche Willensschwäche ausgesetzt“, sagt Christel Moll. Sie gründete 2006 den Verein „Adipositas Verband Deutschland“ und kämpft wie Urs Schaden gegen die Stigmatisierung stark übergewichtiger Menschen. Die erste Vorsitzende des Verbands und gibt Einblick in das Leid Betroffener. „Fast alle haben ein schlechtes Selbstwertgefühl, igeln sich zuhause ein, gehen nicht mehr raus, schämen sich“. Von Kindheit an wird suggeriert, durch Bewegung werde es besser. Viele schaffen das aber nicht. In den Selbsthilfegruppen stärken wir uns gegenseitig den Rücken.“ Mithilfe von Kampagnen wollen die Vereinsmitglieder das gesellschaftliche Bewusstsein verändern.

Wenig Therapieplätze, finanzielle Selbstbeteiligung bei den als Lifestylepräparaten eingestuften Medikamenten oder bei einer Ernährungstherapie – das sind für viele Patientinnen und Patienten Hindernisse im Kampf gegen das Übergewicht. Christel Moll hofft daher auf die baldige Umsetzung des vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen Disease-Management-Programms für Erwachsene mit Adipositas. Mithilfe des DMP wäre eine strukturierte therapeutische Begleitung der Betroffenen möglich.

Kampf gegen inneren Set-point

Dass der Kampf gegen die Kilos zu viel kein einfacher ist, zeigte Urs Schaden auch anhand der Set-point-Therapie: Ihr zufolge ist für jedes Individuum eine bestimmte Gewichtsklasse festgelegt. „Das bedeutet, das System wird alles daransetzen, das Gewicht wieder zu erlangen. Durch Hormone oder Verhaltensweisen kehren wir immer wieder auf das höchste erreichte Gewicht zurück, wie ein Gummiband“, erläutert der Facharzt aus Düsseldorf. Die Rolle der Gesundheitskompetenz werde damit immer zentraler: Menschen bräuchten das Wissen darüber, was gesund sei, was einen positiven Einfluss auf den Körper habe, wie sie mit Verführungen umgingen und welche Stellschrauben sie zur Verfügung hätten.
Prof. Dr. med. Christine Joisten, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Sportmedizin und Ernährungsmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln, erarbeitet mit ihren Patientinnen und Patienten verständliche, realistische Ziele, keine Anordnungen. „Runterbrechen auf kleine Schritte“, nennt sie dies. Neben der medikamentösen Behandlung behält sie wie Schaden auch die soziale und psychische Situation der Betroffenen passgenau im Auge. „Jeder muss bei sich selbst anfangen: Wo ist mein Hebel? Was kann ich tun? Was passt für mich?“, sagt sie. Es müsse beispielsweise nicht immer Sport sein, auch Bewegung reiche. Aber eins ist klar: „Bewegung ist und bleibt ein Must-have in der Therapie“, betont Schaden.

  •  Bianca Wolter

Kontakt

Stephanie Theiß

KOSA Abteilungsleiterin

Telefon +49 211 5970 8091
E-Mail kosa@kvno.de

Anke Petz

KOSA

Telefon +49 211 5970 8090
E-Mail kosa@kvno.de

Bianca Wolter

KOSA

Telefon +49 211 5970 8092
E-Mail kosa@kvno.de