Service Letzte Änderung: 29.08.2023 11:35 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

Was macht eigentlich … eine Schmerztherapeutin?

Dr. med. Hildegard Schneider-Nutz ist Anästhesistin und Schmerztherapeutin mit eigener Praxis in Köln. Sie erzählt, wie sie zu ihrer Spezialisierung gekommen ist, welche Herausforderungen ihr im Arbeitsalltag begegnen und was sie bis heute an Ihrem Beruf schätzt.

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© privat

„Ich wusste immer, dass ich Ärztin werden möchte – schon als Fünfjährige. Nach dem Abitur habe ich erst eine Ausbildung in der Pflege absolviert. Das hat mir beim späteren Medizinstudium sehr geholfen. In der Ausbildung hatte ich inhaltlich einen kleinen Vorsprung, vor allem habe ich dadurch aber den Umgang mit Patientinnen und Patienten gelernt und Berührungsängste verloren.

Das Studium war intensiv, aber vor allem eine Sache hat mich gestört: Alles drehte sich meistens um die Fragen: Wie kann ich die Krankheit behandeln? Welches Medikament, welche Behandlung, welche Operation hilft?

Dabei fand ich andere Fragen mindestens ebenso entscheidend: Woher kommt die Krankheit? Wie entstehen die Schmerzen? Was sind die Auslöser? Darüber sprach kaum jemand.

Nach dem Studium wurde ich Fachärztin für Anästhesie und arbeitete in einer großen Klinik. Das Gebiet der Schmerztherapie kam damals ganz neu auf und ich fand das Thema unheimlich spannend. Mein Vorgesetzter versuchte, mir die Fortbildungen auszureden: ‚Machen Sie das nicht, für Schmerztherapie sind Anästhesisten viel zu ungeduldig!“, behauptete er. Er meinte, Anästhesistinnen und Anästhesisten könnten kaum damit umgehen, wenn die Menschen nach einer kurzen Behandlung, einer Spritze oder einer Tablette immer noch Schmerzen hätten.

Ich wollte das Gegenteil beweisen und die Geduld aufbringen, die für die Behandlung von Patientinnen und Patienten nötig ist. Deswegen absolvierte ich auch Zusatzqualifikationen in der Psychotherapie. Als der Schichtdienst im Krankenhaus für mich als junge Mutter nicht mehr machbar war, eröffnete ich – mit ein paar Zwischenschritten – schließlich eine Praxis mit Schwerpunkt Schmerztherapie in Köln. Das war Mitte der 90er Jahre und ich gehörte damals deutschlandweit zu den ersten, die eine kassenärztliche Zulassung für das Fachgebiet erhielten. Jahrelang gab es in der Region nur sechs Schmerztherapeuten – für eine Millionenstadt! Auch heute gibt es leider immer noch zu wenige, um die Nachfrage zu decken.

Der größte Unterschied zu vielen anderen Fachgebieten: Ich habe Zeit für Menschen. Gespräche haben einen enormen Stellenwert bei der Behandlung, denn Menschen mit chronischen Schmerzen kommen nie nur mit einer rein physischen Diagnose – sie kommen immer mit ihrem ganzen Leben!

Die Grenzen zwischen ärztlicher Behandlung und psychotherapeutischer Begleitung sind manchmal fließend. Wichtig ist, ganz individuelle Ansätze zu finden – egal, ob es sich um Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Arthrose oder Muskelschmerzen handelt. Dabei bin ich nie die einzige Behandlerin, sondern sehe mich eher als Mentorin. Es ist meist eine Mischung aus Medikamenten, Physiotherapie, Psychotherapie, Stressreduktion, Ernährungsumstellung oder anderen Elementen.

Als ich in dem Fachgebiet begonnen habe, sagten einige hochrangige Experten: ‚Kein Mensch muss Schmerzen haben.‘ Heute kann ich sagen: Die Aussage ist schlicht und ergreifend falsch. Chronische Schmerzen lassen sich in den seltensten Fällen komplett heilen. Die meisten Betroffenen haben ihr Leben lang Schmerzen. Aber die gute Nachricht ist: Die Schmerzen lassen sich reduzieren und auch der eigene Umgang mit ihnen kann sich verändern.

Ein Beispiel: Wenn jemand ständig Kopfschmerzen hat und fast täglich Migräne-Attacken bekommt, ist kein normaler Alltag mehr möglich. Die Lebensfreude verschwindet, alles wird zur Qual. Dieser Mensch wird wahrscheinlich nie ganz beschwerdefrei. Aber wenn wir es gemeinsam schaffen, die Attacken auf ein, zwei Mal im Monat zu reduzieren, ist das ein enormer Gewinn! Wenn jemand wieder eine Perspektive für sein Leben findet und einen Zustand erreicht, mit dem er oder sie gut umgehen kann, ist das für mich als Ärztin ein sehr befriedigendes Gefühl.
Und ich weiß nach vielen Jahren: Ich habe auch als Anästhesistin genug Geduld.“