Service Letzte Änderung: 25.05.2022 09:55 Uhr Lesezeit: 5 Minuten

"Wichtig ist nicht nur, eine eigene Entscheidung zu treffen, sondern diese auch zu dokumentieren."

Dr. med. Axel Rahmel ist Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Er spricht über die aktuelle Rechtslage in Sachen Organspende und geht auf die häufigsten Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger ein.

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© DSO
Dr. med. Axel Rahmel

In Deutschland muss man einer Organspende zu Lebzeiten zugestimmt haben – zum Beispiel durch einen Organspendeausweis oder einer Patientenverfügung. Ansonsten müssen im Notfall die Angehörigen die Entscheidung treffen. Im März trat das „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ in Kraft. Welche Neuerungen gibt es?

Rahmel: Das Gesetz stellt eine Ergänzung der bestehenden Rechtslage dar. Es gilt also weiterhin die im November 2012 in Kraft getretene sogenannte Entscheidungslösung in Deutschland, das heißt eine Organentnahme kann nur erfolgen, wenn der Verstorbene oder seine Angehörigen zugestimmt haben. Auch die Entscheidung selbst bleibt weiter freiwillig, es gibt keine Verpflichtung dazu.

Neu ist seit 1. März, dass die Bürgerinnen und Bürger noch stärker als bisher über die Voraussetzungen und den Ablauf einer Organspende informiert werden sollen, um bereits zu Lebzeiten eine selbstbestimmte Entscheidung darüber treffen zu können. Dabei spielen die Hausärztinnen und -ärzte im neuen Gesetz eine besondere Rolle. Sie beraten bei Bedarf alle zwei Jahre ergebnisoffen zur Organ- und Gewebespende. Ihr Vorteil dabei: Sie kennen ihre Patientinnen und Patienten und können in einem vertrauensvollen Gespräch individuell auf die persönlichen Fragen eingehen. Aufklärungsmaterial und Organspendeausweise sollen zukünftig auch bei den Ausweisstellen von Bund und Ländern ausgehändigt beziehungsweise bei elektronischer Antragsstellung elektronisch übermittelt werden, wenn die Bürgerinnen und Bürger einen neuen Pass oder Ausweis beantragen oder verlängern wollen. Zusätzlich ist vorgesehen, dass bei Erste-Hilfe-Kursen, zum Beispiel in den Fahrschulen, Informationsmaterial ausgehändigt wird.

Wichtig ist aber nicht nur, eine eigene Entscheidung zu treffen, sondern diese auch zu dokumentieren. Daher ist in dem Gesetz auch die Einrichtung eines Online-Registers zur Organspende vorgesehen, in dem alle Bürgerinnen und Bürger ihre Entscheidung für oder gegen eine Organspende hinterlegen und auch jederzeit ändern können. Dieses Register soll die bestehenden Möglichkeiten, seinen Willen zum Beispiel in einem Organspendeausweis oder in einer Patientenverfügung zu dokumentieren, ergänzen. Diese Dokumente verlieren auch zukünftig nicht ihre Gültigkeit, wenn das Online-Register zur Organspende seinen Betrieb aufnimmt.

Der Aufbau des Online-Registers verschiebt sich allerdings. Welche Vorteile hätte dies für Patientinnen und Patienten, die auf der Warteliste stehen, aber auch potenzielle Spenderinnen und Spender?

Rahmel: Primäres Ziel des Online-Registers ist, dass im Akutfall ausgewählte Ärztinnen und Ärzte auf den Patientenwillen zugreifen können, sodass sichergestellt ist, dass dieser verlässlich ermittelt und dann auch umgesetzt werden kann. Damit können diejenigen, die ihre Entscheidung dort hinterlegt haben, sicher sein, dass ihrem Wunsch für oder gegen eine Organspende entsprochen wird, sollten sie jemals als Organspender infrage kommen. Durch einen Eintrag entlasten sie somit auch ihre Angehörigen, die ansonsten von den Ärzten nach einer Entscheidung gefragt werden – und das in einer ohnehin schon sehr belastenden Situation.

Für die Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten geht mit dem Register die große Hoffnung einher, dass mehr Organspenden zur Verfügung stünden, wenn auch mehr Personen sich online registrieren und ihre Entscheidung dokumentieren würden. Denn viel zu oft entscheiden noch die Angehörigen gegen eine Organspende, da sie den Willen des Verstorbenen nicht gekannt haben.

Damit das Online-Register aber ein Erfolg wird und sich positiv auf die Organspende auswirkt, muss der Zugang sehr niederschwellig sein, damit jeder so einfach wie möglich seinen Willen dokumentieren kann. Nur so wird sich ein Großteil der Bevölkerung bereitwillig eintragen. Wird das Register kaum genutzt, kann sich sein Effekt möglicherweise ins Gegenteil verkehren. Wenn die Angehörigen das Nichtvorliegen eines Eintrags im Register als fehlende Zustimmung interpretieren, wie das gelegentlich aus anderen Ländern mit einem Register berichtet wurde, würde die Zahl der Ablehnungen sogar zunehmen. Hier hängt also sehr viel von der konkreten Umsetzung des Registers und der Aufklärung darüber in der Bevölkerung ab.

Wie ist die Regelung zur Organspende in anderen Ländern?

Rahmel: Deutschland ist mittlerweile eines der wenigen Länder Europas, die bei der Organspende nicht auf die Widerspruchslösung setzen. Aktuell hat die Schweiz sich von der erweiterten Zustimmungslösung verabschiedet hin zur Widerspruchslösung, die 2024 in Kraft treten wird. Bei der erweiterten Zustimmungslösung muss ebenfalls – wie bei der Entscheidungslösung in Deutschland – der Verstorbene selbst oder die Angehörigen einer Organentnahme zugestimmt haben.

Die Entscheidungslösung stellt eine Variante der Zustimmungslösung dar, indem zusätzlich die Bevölkerung regelmäßig zur Organspende aufgeklärt und informiert wird, um eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können. Außer in Dänemark, Irland, Island, Litauen, Rumänien und Nordirland gilt überall sonst in Europa die Widerspruchslösung. Hat man nicht zu Lebzeiten widersprochen, wird man in diesen Ländern automatisch als Organspender eingestuft. Das betrifft auch Personen, wie zum Beispiel Touristen, die sich zum Zeitpunkt ihres Todes dort aufgehalten haben – es gelten dann die Regelungen des jeweiligen Landes, nicht die des Heimatlandes.

Hierzulande wurde im Januar 2020 über die Einführung der Widerspruchslösung im Bundestag abgestimmt. Durchgesetzt hat sich aber der Gegenentwurf, aus dem das bereits dargelegte Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende hervorging, das Anfang März 2022 in Kraft trat.

Länder, in denen die Widerspruchslösung gilt, haben statistisch gesehen höhere Zahlen an Organspendern. Es besteht allerdings Einigkeit, dass die gesetzliche Regelung nicht der einzige Grund dafür ist. Die Widerspruchslösung gibt aber ein klares Signal, dass die Gesellschaft hinter der Organspende steht. Dadurch gewinnt das Denken an die Organspende an Normalität.

Was sind die häufigsten Argumente gegen eine Spende? Können Sie diese entkräften?

Rahmel: Die größte Befürchtung scheint zu sein, dass im Ernstfall nicht mehr alles medizinisch Mögliche unternommen wird, sobald die Ärzte wissen, dass man einen Organspendeausweis hat. Diese Sorge ist völlig unbegründet: Oberstes Ziel aller medizinischen Maßnahmen im Falle eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung ist es, das Leben der Patientin oder des Patienten zu retten. Alle, die sich um das Leben der Patienten bemühen, wie Notärzte, Rettungsteams und Intensivmediziner, haben nichts mit der Organentnahme und Transplantation zu tun. Sind Krankheit oder Unfallfolgen jedoch zu weit fortgeschritten, kann es trotzdem passieren, dass das Leben nicht gerettet werden kann. Tritt der Tod dabei durch den unumkehrbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms ein („Hirntod“), können Kreislauf und Atmung nur noch künstlich durch Maschinen Medikamente aufrechterhalten werden. Nur in diesen wenigen Fällen von Verstorbenen stellt sich die Frage einer Organspende.

Auch bezüglich des Hirntods gibt es viele Vorbehalte, die einer Überprüfung nicht standhalten. So sorgen streng einzuhaltende Abläufe auf den Intensivstationen dafür, dass zum Beispiel ein vorübergehendes Koma nicht mit einem Hirntod verwechselt werden kann. Dieser muss zweifelsfrei nach den Richtlinien der Bundesärztekammer festgestellt werden. Dazu führen zwei entsprechend qualifizierte Ärztinnen oder Ärzte unabhängig voneinander mehrere Untersuchungen durch. Diese Ärzte dürfen weder an der Entnahme oder an der Übertragung der Organe des Organspenders beteiligt sein, noch der Weisung eines beteiligten Arztes unterstehen.

Eine weitere falsche Annahme ist, dass die Angehörigen nach der Organentnahme keinen Abschied mehr nehmen können. Alle an der Organspende Beteiligten erweisen während und nach der Organentnahme dem Verstorbenen selbstverständlich höchsten Respekt und gehen pietätvoll mit ihm um. Die Operationswunden werden nach der Organentnahme sorgfältig verschlossen und der oder die Verstorbene wird auf Wunsche der Angehörigen feierlich in einem eigenen Raum in der Klinik aufgebahrt, sodass sich die Familie in aller Ruhe verabschieden kann.

Was sind Transplantationsbeauftrage und welche Rolle spielen sie?

Transplantationsbeauftragte sind auf den Intensivstationen die wichtigsten Partner bei der Erkennung von möglichen Organspendern. Jedes Krankenhaus, in dem Organe entnommen werden können, muss mindestens einen Transplantationsbeauftragten bestellen. Dieser muss über eine entsprechende fachliche Qualifikation verfügen und ist dafür zuständig, dass in der Klinik alle Abläufe im Organspendeprozess eingehalten werden. Um dieser Tätigkeit umfassend nachkommen zu können, wird er oder sie dafür von seinen üblichen Aufgaben in einem festgelegten Rahmen freigestellt. Transplantationsbeauftragten kommt somit eine Schlüsselfunktion im Organspendeprozess zu. Unterstützt werden die Transplantationsbeauftragten dabei in allen Belangen von den Koordinatoren der DSO.

Herzlichen Dank für die Informationen, Herr Dr. Rahmel

Thema des Monats: Organspende

Am 4. Juni ist "Tag der Organspende". Verschiedene Institutionen und Patientenverbände veranstalten den Aktionstag gemeinsam. Die KV Nordrhein widmet sich im Juni 2022 diesem Schwerpunktthema.

Mehr Informationen rund um die Organspende, Ausweise zum Herunterladen, Kriterien zur Entnahme und Vergabe sowie Erfahrungsberichte unter:
 

www.tagderorganspende.de

www.organspende-info.de

www.netzwerk-organspende-nrw.de

www.lebensritter.de