Service Letzte Änderung: 09.12.2022 12:04 Uhr Lesezeit: 3 Minuten

Interview: „Oft kann der Körper sich selbst heilen.“

Halsschmerzen, Mittelohr-Entzündung, verstopfte Nebenhöhlen – bei Atemwegsinfekten und anderen Entzündungen setzen die Betroffenen häufig auf Antibiotika. Dr. med. Moritz Tellmann verschreibt diese allerdings selten. Er ist Facharzt für Anästhesie und Notfallmedizin, Ernährungsmediziner und hat die Fortbildung als „Antibiotic Stewardship-Berater“ absolviert. Neben seiner Tätigkeit auf einer Intensivstation ist er in Teilzeit in einer internistischen Praxis in Düsseldorf tätig, um zusätzlich die Prüfung Facharzt für Allgemeinmedizin abzuschließen. Im Interview erklärt der Mediziner, warum ihm ein umsichtiger Umgang mit Antibiotika wichtig ist.

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© privat
Dr. Moritz Tellmann, Facharzt für Anästhesie & Notfallmedizin

Herr Dr. Tellmann, Sie sind in Teilzeit in einer hausärztlichen Praxis tätig.  Gehört die Verordnung von Antibiotika dort nicht zum Alltag?

Tellmann:  Nein, glücklicherweise nicht. Ich verschreibe längst nicht jede Woche Antibiotika. Dieses Jahr kann ich die Zahl der Rezepte noch fast an zwei Händen abzählen. Mir ist es wichtig, damit vorsichtig umzugehen. Es steht immer die Frage im Fokus: Muss das wirklich sein? Oft lautet die Antwort „Nein“, manchmal aber auch eindeutig „Ja.“

Aber es kommen doch bestimmt viele Patientinnen und Patienten mit Infekten und Entzündungen zu Ihnen …

Tellmann: Zum einen muss man sagen: Viele Erkältungen werden durch Viren ausgelöst, da sind Antibiotika sowieso wirkungslos. Bei Mandel-, Mittelohr- oder Nasennebenhöhlen-Entzündungen sind oft Bakterien die Ursache. Selbstverständlich könnte man die mit Antibiotika behandeln, aber man muss nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Ein gesunder Mensch mit einem normalen Immunsystem kommt mit so einer Erkrankung in der Regel klar. Der Körper kann sich selbst heilen. Manchmal braucht es eben ein bisschen Geduld. Ein Beispiel: Nach vier, fünf Tagen Halsentzündung fängt der Körper an, zu kämpfen. Dann werden die Symptome kurzzeitig vielleicht sogar schlimmer. Am sechsten oder siebten Tag geht es dann schon wieder besser und am achten ist alles vergessen – ganz ohne Antibiotika.

Verlangen die Patientinnen und Patienten denn häufig danach?

Tellmann: Ja, mache wollen es unbedingt haben – auch nach dem Motto: „Das habe ich immer so gemacht.“ Daher ist es wichtig, meine Entscheidung gut zu begründen. Manchmal muss ich noch Untersuchungsergebnisse abwarten und überlege dann, ob und welches Medikament nötig ist. Wenn Antibiotika nötig sind, kann man sie möglichst passgenau verschreiben oder nach ein paar Tagen mit weiteren „aufstocken“ – immer ganz individuell. Eine gründliche Untersuchung, Abwägung und Begründung gegenüber den Betroffenen braucht Zeit. Aber letztendlich spare ich auch Zeit, in dem ich Folge-Besuche vermeide.

Wie meinen Sie das?

Tellmann: Antibiotika können erhebliche Nebenwirkungen und Allergien verursachen oder auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Einige Patientinnen und Patienten bekommen zum Beispiel Verdauungsbeschwerden, weil ihre Darmflora durch ein Antibiotikum gestört wurde. Dann habe ich diese Menschen Tage oder Wochen nach der ursprünglichen Infektion wieder in der Praxis. Warum sollte ich die Menschen diesem Risiko aussetzen, wenn es nicht unbedingt nötig ist?!

Sie arbeiten auf der Intensivstation in einer Klinik und in einer Hausarztpraxis. Wo liegen die Unterschiede in Bezug auf die Antibiotika-Vergabe?

Tellmann: Das lässt sich kaum gegenüberstellen. In der Klinik haben wir oft schwere Fälle, auf die wir entsprechend mit relativ schwerem Geschütz reagieren müssen. Wenn zum Beispiel bei einer Sepsis akute Lebensgefahr besteht, steht die Behandlung mit Antibiotika nicht zur Debatte. Das muss sein – und zwar schnell und mit einem großen Spektrum möglicher Wirkstoffe. Trotzdem wird gerade in diesem Bereich ein intensives Antibiotika-Management betrieben – inklusive Experten-Besprechungen und Statistik-Auswertungen. So professionell ist das in Praxen kaum möglich. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass das Bewusstsein für die Thematik bei den niedergelassen Ärztinnen und Ärzten in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Auf der Intensivstation erleben wir leider immer mal wieder das Ergebnis von Resistenzen: Wenn der Keim auf nichts mehr reagiert, ist man auch als Experte manchmal machtlos. Also besser in der ganzen Gesellschaft – auch weltweit – lieber vorsichtig sein mit dem Gebrauch, damit es dann noch wirkt, wenn es mal wirklich um Leben und Tod geht – und nicht um ein paar Tage Halsweh.

Thema des Monats: Umgang mit Antibiotika

Antibiotika-Resistenzen werden zu einer immer größeren Herausforderung in der Medizin. Deswegen widmen wir uns diesem Thema im Dezember 2022.

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